„Was ist für die Magierschaft die wichtigste Erfindung des letzten Jahrhunderts?“
Nicht das Svengali-Deck, nicht die Schwammbälle und auch nicht die Zig-Zag-Illusion. Die
überraschende Antwort von Ken Weber folgt am Ende dieses Artikels.
Ich gehöre zu den Konsumenten magischer Literatur, die Vorwörter, Nachwörter und Essays
meistens vor den Trickbeschreibungen lesen. Philosophieren macht mir einfach Spaß, solange es
nicht in selbstgefällige Endlosschleifen der Banalität ausartet. Deshalb habe ich mir nach langer
Zeit mal wieder ein reines Theoriewerk zugelegt: „Maximum Entertainment“ vom Amerikaner Ken
Weber.
Ken who? Das ist erstens eine berechtigte Frage und zweitens der Titel des Anfangskapitels. Wir
erfahren von einem asthmakranken Bürschlein, das seine Schüchternheit über die Zauberei besiegt
hat, viele Jahre erfolgreich auf Kreuzfahrtschiffen gezaubert hat und auf Tausende Auftritte als
Profi zurückblickt. Quasi nebenbei hat der Tausendsasssa das Geschäft als Fondsmanager gelernt,
den Job gewechselt und ist heute als Finanzhai sehr reich und erfolgreich.
Ob man ihm das alles glauben soll? Was das Bankwesen betrifft - keine Ahnung. Wenn es ums
Zaubern und um den Mentalismus geht, hat mich Herr Weber überzeugt. Der Mann weiß wovon er
schreibt. Auch wenn er in der magischen Szene bisher kaum bekannt ist.
Zunächst ist es falsch, das Buch als reines Theoriewerk einzuordnen. Ken Weber hat ein praktisches
Handbuch geschrieben, wie man den „Entertainment-Wert“ jeder Zaubernummer anheben kann.
Und er scheut sich nicht davor, seine Thesen mit praktischen Beispielen zu unterlegen. Was für
Fehler machen die Größen der Zunft, die wir alle kennen, wie Max Maven, Michael Ammar, David
Copperfield, Daryl Martinez, Juan Tamariz? Was wie Majestätsbeleidigung klingt, entpuppt sich
immer als sachliche, handfeste Analyse, getragen vom Respekt für die Leistung des kritisierten
Künstlers. Ein paar Beispiele, wie man sie in einer unserer gewohnten Zauberzeitschriften nie
finden würde:
Max Maven wäre zu unnahbar, er übertreibt die Idee, dass man als Zauberer eine bestimmte Rolle
spielen soll. Weil er sich wie ein Vampir schminkt und eine Form der Arroganz zum
Markenzeichen erhebt, kommt den Menschen nicht wirklich nahe. „Communicate your humanity!”
ist einer der sechs Säulen zum Erfolg, auf die Ken Weber aufbaut. Das wäre der Grund, warum der
begabte Max Maven heute nicht die unumstrittene Nummer eins ist.
Michael Ammar banalisiert auf einem Videoband einen schönen Schwebe-Trick, der eigentlich ein
Wunder sein sollte. „Capture the excitement!“ ist die Regel Nummer drei auf der Weber´schen
sechsteiligen Liste der „pillars to entertainment success“. Man sollte seine Tricks nie trivialisieren,
auch wenn man sie nach der hundertsten Vorführung selber nicht mehr so recht mag. Genau das
passiert aber auch den ganz Großen unserer Zunft immer wieder. Statistische Untersuchungen
hätten ergeben, dass der durchschnittliche Amerikaner ein bis zweimal in seinem Leben einen
Zauberer sieht. Für ihn kann auch der abgenutzteste Schwammball-Trick ein emotionelles
Grenzerlebnis sein. Der Entertainment-Profi sollte sich seine negative Einstellung manchen eigenen
Tricks gegenüber nie anmerken lassen.
Sogar der unvergleichliche Daryl Martinez kleistert auf einer DVD einen „Sandwich“ - Kartentrick
mit überflüssigem Herumgerede zu. Und der Trick ist auch noch schwach. Ken Weber hat eine
Hierarchie entwickelt. Ein Zaubertrick ist entweder a)ein „puzzle“ oder b)ein „Trick“ oder c)ein
„extraordinary moment“. Daryls Trick wäre bestenfalls zwischen a) und b) angesiedelt. Das ist zu
wenig. „Control every moment!” warnt Herr Weber angesichts des Durchschnittsvortrages. Sonst
wandert die Aufmerksamkeit des Publikums unweigerlich ab. Das darf man nie zulassen. „Be a
Superman!“. Entschuldige dich nie. Auch nicht wenn du müde oder verkatert bist, Schmerzen oder
Probleme hast, schlecht drauf bist und deshalb meinst, das Publikum in deine Sorgen einbeziehen
zu müssen. Es gilt eine wichtige Weber´sche Regel: „They don´t care!“ Das Publikum will eine
halbe Stunde „Superman“ sehen, für Clark Kent, das menschliche alter ego interessiert sich
niemand.
Juan Tamariz führt einen zu komplizierten Buchtest vor, bei dem der Zuschauer herumrechnen
muss. Mentalmagie muss einen simplen, klaren Effekt haben. Warum muss ein „Superman“ drei
Ziffern addieren lassen, wenn es darum geht, dass sich der Zuschauer ein Wort aus einem Buch
merken soll? Wenn man nur dreißig Minuten Zeit hat, etwas vorzuführen, macht es wenig Sinn,
etwas anderes als echte „Killer“-Routinen zu zeigen.
Und so geht es den ganzen ersten Teil des Buchs weiter. Im zweiten Teil kommen dann die
konkreten Tipps. Viele Dinge, auf die wir Magier gerne vergessen. Wir, die Leser, die wir uns doch
insgeheim für ziemlich gut und professionell gehalten hätten, müssen uns auf einmal mit einem
Füllhorn praktischer Vorschläge, guter Ideen und mit manchen provokanten Thesen
auseinandersetzen, die uns alle eines zeigen: Es gibt bei dem, was wir routiniert vorführen, noch ein
ungeheures Potenzial für Verbesserungen.
Zum Beispiel: Einen Entertainer muss man gut sehen und hören können. Es folgen fundierte Tipps
zum Thema Beleuchtung und Sound. Man sollte fast immer eine Tonanlage verwenden. Auch wenn
man von allen gehört wird, klingt die Stimme doch mit Verstärkung wesentlich präsenter. Und für
den Soundcheck sollte genug Zeit sein. Wie geht man mit widerspenstigem Technikpersonal um,
das Licht und Ton routinemäßig herunterspulen will? Warum ist ein schneller Vortrag fast immer
besser als ein langsamer? Wie sollten die Stühle der Zuschauer stehen? Was tut man, wenn an
runden Tischchen die Hälfte des Publikums mit dem Hinterkopf zum Künstler sitzt? Warum ist ein
Handmikrophon mit Ständer einem Headset oder Ansteckmikro immer vorzuziehen? Warum sollte
man Helfer im Publikum immer aufstehen lassen? Mit welchen Worten überredet man einen
Zuschauer, auf die Bühne zu kommen? Warum sollte man den gesamten Vortrag unbedingt auf
Papier festhalten, ein sogenanntes „Skript“ schreiben? Nicht nur für die Tricks, auch für die
Übergänge („Control every moment!). Wie benutzt man einen Kassettenrekorder zur Verbesserung
des Vortrags? Warum ist der schwere Weg, das Erlernen anspruchsvoller Techniken, oft auf lange
Sicht der leichtere?
Was treibt Herrn Weber eigentlich dazu, uns all diese Dinge zu erzählen? Der Untertitel des Buchs
verrät es uns: „Director´s Notes for Magicians and Mentalists“. Der Schlüssel liegt in seiner
Vergangenheit: Ken Weber hat vor seinen zwei Karrieren auch noch Schauspiel studiert. Und bei
den Proben sitzt im Zuschauerraum immer der „director“, der Regisseur, mit einem Notizblock und
schreibt mit. Anhand seiner Notizen werden später mit den Darstellern Verbesserungen besprochen.
„good is not enough!” ist das Motto.
Was beim Theater selbstverständlich ist, ist bei Zauberkünstlern kaum üblich. Ken Weber hat bei
Kongressen der PEA, der „Psychic Entertainers Association“, bei den gebuchten Acts
mitgeschrieben und Spitzennummern in seinem Workshop schonungslos auseinandergenommen.
Statt Ablehnung wäre ihm, so schreibt er, Begeisterung entgegengeschlagen „Thank´s, I needed
that!“ war der Tenor. Sieben Jahre hindurch hat er als „director“ Notizen gemacht und es haben sich
immer mehr allgemeine Regeln herausgebildet, die er in diesem Buch zusammenfasst. Wenn sich
auch kaum ein Zauberer einen Regisseur leisten kann, so ist dieses Buch für Ken Weber die
zweitbeste Lösung. Damit jedermann sein eigener „director“ sein kann. Und das bringt uns zur
hoffentlich mit Spannung erwarteten Auflösung der eingangs gestellten Frage:
„Was ist für die Magierschaft die wichtigste Erfindung des letzten Jahrhunderts?“
Natürlich die Videokamera.
Mein Urteil: „interessant und gut geschrieben“
„Maximum Entertainment“ von Ken Weber
„Maximum Entertainment“
von Ken Weber